Alter Hase, neue Technik: Gerhard Gerner fährt einen Actros mit MirrorCam

Reportage

Alles im Blick.

Gerhard Gerner hat in seinem Job schon viel gesehen. Mit der MirrorCam seines neuen Actros 2251 sieht er jetzt sogar nach hinten alles.


Wenn Gerhard Gerner dorthin blickt, wo sich die Rückspiegel seines Lastwagens befinden sollten, dann sieht er: Nichts. Zumindest sieht er nicht wie bisher das Spiegelbild des Bereichs links und rechts neben seinem Lkw. Stattdessen wird ihm das Geschehen auf zwei Hochformat-Bildschirmen auf den A-Säulen seines Brummis angezeigt. „Ein wenig ungewohnt war das am Anfang schon“, sagt der Fahrer von Haberl Logistik aus Berndorf bei Salzburg über die High-Tech-Ausstattung seines erst wenige Wochen alten Mercedes-Benz Actros 2551. „Aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.“

MirrorCam statt Spiegel.

MirrorCam nennt sich das innovative System, das anstelle der herkömmlichen Haupt- und Weitwinkelspiegel auf Digitalkameras und Displays setzt. Die Kameras sind rechts und links am Dachrahmen befestigt und übertragen ihr Bild auf die beiden Bildschirme in der Kabine. Die Vorteile: ein größeres Sichtfeld des Fahrers und keine toten Winkel. Bei Kurvenfahrten schwenkt das Kamerabild sogar mit, sodass Gerhard das Ende seines dreiachsigen Lkw mit Kofferaufbau stets gut im Blick hat



Die Ladung: Reinigungsmittel.

Gerhard hat seinen tonnenschweren Lkw gerade gegen einen flinken Elektro-Hubwagen getauscht und fährt damit im Lager der Firma Kersia in Neumarkt am Wallersee hin und her. Der 60-Jährige stellt Palette für Palette mit Kanistern voller Flüssigkeitskonzentrat auf die Ladefläche seines Lkw. Außerdem: Tanks mit Natronlauge, Kanister mit einem Mittel zur Euterhygiene bei Kühen, Reinigungspulver für Melkmaschinen und Flüssigreinigungsmittel. „Gefährliches Zeug“, sagt Gerhard augenzwinkernd. Er meint das scherzhaft, die Ladung gilt aber tatsächlich als Gefahrengut. Zur Kennzeichnung befestigt Gerhard am Heck und an der Front seines Lkw eine orangefarbene Warntafel. Gewissenhaft sichert er anschließend die Fracht. Das muss sein, auch wenn es bis zur Entladung beim Kunden nur wenige Kilometer sind.

Seit über 40 Jahren auf Achse.

Mit dem Lkw-Fahren begann Gerhard vor 40 Jahren, obwohl er Fleischer gelernt hatte. „Ich konnte den Beruf aber aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben.“ Also machte er sich mit dem Lastwagen auf in ferne Länder. „Bis auf Skandinavien und Russland war ich in Europa und im Nahen Osten fast überall“, sagt er und erzählt von seiner ersten Auslandsreise nach Deutschland. „Damals musste man in Deutschland 21 Jahre alt sein, um alleine einen Lkw fahren zu dürfen. Also musste ich mein Fahrzeug direkt an der Grenze abstellen und auf einen Kollegen warten, der gemeinsam mit mir weitergefahren ist.“ Ärgerlich? „Natürlich, ich hatte nur noch drei Tage bis zu meinem 21. Geburtstag.“



„Bis auf Skandinavien und Russland war ich in Europa und im Nahen Osten fast überall.“

– Gerhard Gerner


Abenteuerliche Touren.

Einige Jahre später geriet Gerhard bei einer seiner Touren sogar unvermittelt in die Wirren des Zweiten Golfkriegs, nachdem der Konflikt zwischen dem Irak und Kuwait eskaliert war. „Ich war gerade im Irak unterwegs, als der Krieg ausbrach.“ Plötzlich musste alles schnell gehen. „Ein Militärjeep kam angefahren und Soldaten, die ich nicht verstanden habe, winkten hektisch herum, ihnen zu folgen. Im Konvoi mit zahlreichen anderen Lkw ging es im Höllentempo quer durch die Wüste in Richtung Jordanien, wo wir dann in Sicherheit waren.“

Ob ihm das Unterwegssein trotzdem Spaß gemacht hat? „Immer“, sagt Gerhard, für den die Touren mehr Abenteuer als Arbeit waren. „Ich bin in andere Länder gekommen, war unterwegs mein eigener Chef und damals genoss man als Lkw-Fahrer auch noch viele Vorteile. Die Bezahlung war überdurchschnittlich gut, bei den meisten Kunden gab es einen Kaffee oder eine kleine Jause und unterwegs hat man immer wieder dieselben Fahrer anderer Firmen getroffen und konnte sich gut unterhalten.“



„Sobald ich das erste Mal am Steuer saß, wusste ich: Das ist mein Ding.“

– Gerhard Gerner


Noch eineinhalb Jahre bis zur Pensionierung.

Heute sei das alles anders, sagt Gerhard. Bereut hat er seine Berufswahl trotzdem nie. „Sobald ich das erste Mal am Steuer saß, wusste ich: Das ist mein Ding. Und daran wird sich auch in den eineinhalb Jahren bis zu meiner Pensionierung nichts mehr ändern.“

Sein Chef Johannes Haberl sieht Gerhards Pensionierung mit gemischten Gefühlen entgegen: „Es ist nicht so leicht, gute Fahrer zu finden“, sagt er. 2002 hat er die B&H Transport Logistik GmbH gegründet, den Transportbereich hat er kürzlich als Haberl Logistik ausgegliedert. Die zwölf Lkw fahren in erster Linie für zwei Kunden: Mit fünf Lkw-Zügen beliefert Haberl Baustellen für den Tore- und Türen-Hersteller Hörmann und für den Reinigungsmittelproduzenten Kersia fährt er vorwiegend mit Hängerzügen.



Die Ausstattung des Actros überzeugt.

Nicht nur die MirrorCam hat Gerhard am Actros zu schätzen gelernt: „Sehr komfortabel, toll zu fahren und mit 510 PS auch top motorisiert. Ich bin in meiner Karriere schon Lastwagen aller möglichen Marken gefahren“, sagt er, „aber der neue Actros ist schon ein besonders tolles Fahrzeug.“ Nur beim neuen Active Drive Assist ist der Salzburger ein wenig skeptisch. Das System baut auf dem Abstandshalte-Assistenten mit Stop-and-go-Funktion, dem Spurhalte-Assistenten sowie detaillierten Radar- und Kamerainformationen auf und ermöglicht teilautomatisiertes Fahren. „Als ich damals zu fahren begonnen habe, war es undenkbar, dass Lkw irgendwann technisch so weit sein können“, sagt Gerhard und blickt auf seinen Lkw. Er überlegt, sucht nach Worten. „Das ist ab und zu schon ganz praktisch. Aber die Verantwortung habe immer noch ich, also muss ich immer hellwach sein.“ Da ist Gerhard ganz Pragmatiker.



Fotos: Sebastian Freiler

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