Der neue Actros im Einsatz beim DTM-Team

Reportage

Power-Play.

Die HWA-Mannschaft ist das erfolgreichste Team der DTM-Geschichte. Michael Schleehauf und sein Actros setzen alles daran, die Erfolgsserie in dieser Saison fortzusetzen.

Fahrendes Warenlager – Michael Schleehauf vom HWA-Team in seinem Auflieger.


„Und hier haben wir ...“ – Michael Schleehauf steht in dem schmalen Gang in der Mitte des Aufliegers seines Actros 1851. Doch zum Erzählen, was genau er dort macht, kommt er kaum. Immer wieder wird er unterbrochen von der schnellen Folge aus schrillem Kreischen der Schrauber und dem dröhnenden Rattern ihrer Drehmomentbegrenzer. Direkt neben seinem Lkw haben die Kollegen einen Boxenstopp aufgebaut. Dort steht ein DTM Mercedes AMG C-Klasse Coupé. Quer über dem Fahrzeug: eine Metallstange, von der vier Schläuche abgehen. An deren Enden sind Pressluftschlagschrauber angebracht, mit denen vier Mechaniker immer und immer wieder die Reifen des Rennautos wechseln. Etwa drei Sekunden brauchen sie dafür. Die Zeit wird mit einer Stoppuhr auf das Hundertstel genau erfasst und notiert.

Die Szene spielt sich auf dem Gelände der HWA AG in Affalterbach nordöstlich von Stuttgart ab. HWA – das Kürzel steht für Hans-Werner Aufrecht. Der Mitbegründer von AMG, der High-Performance-Marke von Mercedes-Benz, rief das Unternehmen 1998 ins Leben. HWA ist für die Technik aller DTM Mercedes AMG C-Klasse Coupés verantwortlich, die bei den Deutschen Tourenwagen Masters (DTM) eingesetzt werden. Entwicklung, Konstruktion und Bau der DTM-Fahrzeuge finden im HWA-Werk statt. Darüber hinaus betreut das Unternehmen die beiden Teams von Mercedes-Benz während der Saison. Mit zehn Fahrertiteln ist HWA der erfolgreichste Teilnehmer in der Geschichte der DTM.


Diese Erfolgsserie wollen Michael und seine Kollegen in diesem Jahr fortsetzen. Entsprechend groß sind Spannung und Vorfreude im Team. Denn die neue Saison steht unmittelbar bevor. Vier Tage noch, dann fällt der Startschuss für das Auftaktrennen am Hockenheimring. Am Abend wird sich der gesamte Tross – bestehend aus sechs Actros mit vier Rennwagen und dazu jede Menge Ausrüstung – auf den Weg machen. Mit dabei sind dann auch die rund 42 Mitarbeiter, die an jedem Rennwochenende für das Team im Einsatz sind.

Bis es so weit ist, nutzen alle jede Minute, um sich auf das Rennen vorzubereiten. Dazu gehört auch der Reifenwechsel. „Bei den DTM geht es viel enger zu als in der Formel 1. Zwischen dem Ersten und dem Letzten im Ziel liegen oft nur wenige Sekunden. Da kommt es darauf an, dass beim Boxenstopp jeder Handgriff sitzt“, sagt Michael. Er weiß, wovon er spricht: Noch bis vor zwei Jahren hat der gelernte Kfz-Mechaniker während der Rennen selbst die Reifen gewechselt. Dann hat er Platz gemacht für jüngere Kollegen. Beim Rennen ist er trotzdem weiterhin mittendrin dabei – als „Fänger“ für die Reifen, die ausgewechselt werden.

„Bei der HWA ist man eben nicht nur Lkw-Fahrer, sondern hat viele weitere Aufgaben“, so Michael. Das beginnt schon bei der Vorbereitung auf das Rennen. Links und rechts neben dem schmalen Gang, in dem der 46-Jährige steht, befinden sich 65 Schubladen sowie Dutzende Fächer und Regale. Darin enthalten ist alles, was beim Rennen benötigt wird – von Schrauben über Bremsscheiben bis zu Unterlegmatten und Bohrschraubern. Michael ist dafür verantwortlich, dass alle Ersatzteile vollständig sind. Am Ende des Aufliegers führen fünf Treppenstufen in eine Lounge mit einer Rundsitzecke, einem Kühlschrank und einem Fernseher – dem Aufenthalts- und Rückzugsbereich für die Rennfahrer. „Ich muss auch dafür sorgen, dass sich die Piloten während der Rennwochenenden wohl fühlen. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Overalls gewaschen sind“, sagt Michael. „Wir sind eben Mädchen für alles“, fügt er mit einem Schmunzeln hinzu.

Erst einmal kümmert er sich jedoch um sein wichtigstes Transportgut. Gemeinsam mit seinem Kollegen Markus Hetzler schiebt er einen der vier Rennwagen auf die Laderampe und anschließend auf die beiden Spuren direkt über den Schubladen und Regalen. Dort sichert er das Auto mit Spanngurten für die Fahrt.

Der Umgang mit den Rennboliden sorgt bei dem Motorsportfan auch nach acht Jahren, in denen er nun schon für HWA arbeitet, jedes Mal für funkelnde Augen: „Der Sound des V8-Motors und der Rausch der Geschwindigkeit – das ist schon ein ganz besonderes Gefühl, hier dabei zu sein“, sagt er. Trotzdem ist ihm das komfortable Fahrerhaus seines Actros lieber als das enge und unübersichtliche Cockpit des C-Klasse Coupés. Und auch die Sicherheitssysteme des Lkw sagen ihm eher zu als die des DTM-Autos. Zwar sind dort die Fahrer dank einheitlichem Kohlefaser-Fahrgestell, Crash-Absorbern und Stahl-Überrollkäfig bestmöglich geschützt. Aber: „Spurhalte-Assistent, Abstandshalte-Assistent und Active Brake Assist passen eben besser zu meinem Job“, sagt Michael.

Am Abend macht sich das Team auf zum ersten Rennen der neuen Saison. Der provisorische Boxenstopp ist abgebaut. In Michaels Actros stehen mittlerweile zwei Fahrzeuge. „Ein Kollege transportiert mit seinem Actros die gleiche Ausstattung wie ich“, sagt Michael. In den weiteren Lkw sind die 160 Reifen, die die vier Autos pro Wochenende benötigen, verstaut. Außerdem befinden sich dort Getriebe-, Motoren- und Karosserieteile. Auch eine eigene Werkstatt und die Arbeitsplätze der Ingenieure sind in den Aufliegern untergebracht.

Die meisten der etwa 42 Mitarbeiter nehmen in Mini-Vans Platz. Michael steigt in seinen Actros. Dass er jetzt noch die wertvolle Fracht sicher ans Ziel bringen muss, während sich die anderen ausruhen können, stört ihn nicht. Im Gegenteil. „An den Rennwochenenden geht es sehr hektisch zu. Deshalb genieße ich die ruhigen Stunden während der Fahrt, in denen ich allein bin.“


Sein Startschuss ist gefallen – Michael auf dem Weg zum Rennen.


Das erste Ziel ist ein stillgelegter Flugplatz in der Region. Der Ort bleibt geheim, um neugierige Blicke von Schaulustigen und vor allem Konkurrenten zu vermeiden. Auf der Start- und Landebahn findet am nächsten Tag ein letztes Training statt – der sogenannte Roll-out. Am gleichen Tag geht es weiter nach Hockenheim. Dort heißt es für Michael: Actros waschen, Fahrzeuglager aufbauen und sich auf das Rennen vorbereiten. Schließlich muss dann jeder im Team topfit sein. Am Sonntag geht es direkt nach dem Rennen wieder zurück nach Affalterbach.

„Während der Saison ist es schon sehr stressig. Viel Zeit für die Familie bleibt da nicht“, sagt der Vater eines mittlerweile erwachsenen Sohnes. „Aber wir sind ein super Team. Und wenn dann nach dem Rennen einer unserer Fahrer auf dem Siegertreppchen steht, entschädigt das für alle Strapazen.”

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