Interview: Die Fahrzeug-Designer Annelie Mohrs und Oliver Stick über die Gestaltung des neuen Actros

Fahrzeug & Technik

„Neues Zeitalter“.

Der neue Actros hat eine Zeitenwende im Lkw-Bau eingeläutet. Sichtbar wird das im Exterieur und – mehr noch – im Interieur. RoadStars traf zwei Fahrzeug-Designer, die das neue Flaggschiff mitgestaltet haben.

Schritt für Schritt. Annelie Mohrs und Oliver Stick holten sich Inspirationen für ihre Arbeit am neuen Actros auch bei Designstudien.


Zum Interview finden sich Annelie Mohrs und Oliver Stick in der Lounge des Daimler Design im Mercedes-Benz Werk Sindelfingen ein. Die beiden Designer entwickeln nebst futuristischen Fahrzeugstudien auch das ganz konkrete Aussehen und die Bedienelemente von Serien-Lkw. So auch beim neuen Actros: Annelie Mohrs arbeitet an der Schnittstelle, an der ein Mensch mit einer Maschine in Kontakt tritt. Auf diesem Gebiet hat der neue Actros mit seinen neuen Displays und dem innovativen Anzeigenkonzept besonders viele Fortschritte gemacht. Oliver Stick designt Fahrerhausinterieurs, aber auch das Exterieur von Mercedes-Benz Trucks. So hat er etwa an Neuerungen wie dem Multimedia Cockpit und der MirrorCam mitgearbeitet.

Was fasziniert Sie an Ihrer Tätigkeit?

Annelie Mohrs: Für mich ist es etwas Besonderes, dass ich nicht nur ein Gerät, sondern einen ganzen Arbeitsplatz gestalte. Die Fahrer sitzen viele Stunden am Tag hinter dem Lenkrad. Nach der Arbeit oder zwischen den Lenkzeiten verbringen sie ihre Pausen im Lkw. Das ist wie ein zweites Zuhause für diese Menschen. Und dort kommen sie mit unserem Design in Berührung, angefangen bei den Anzeigen der Assistenzsysteme bis hin zum Auswählen ihrer Lieblingstitel im Entertainment-System.

Oliver Stick: Mich fasziniert die Vielfältigkeit meiner Arbeit. Als Designer für In- und Exterieur habe ich seit Jahren das Privileg, kreativ daran mitzuwirken, dass Technik und Ästhetik der Mercedes-Benz Trucks eine harmonische Einheit bilden.


Was waren die großen Herausforderungen beim neuen Actros?

Oliver Stick: Im Interieur ganz klar, dass wir von der analogen in die digitale Welt gewechselt sind. Das bedeutet: Die Instrumente sind weitgehend durch Displays ersetzt worden. Die Spiegel mussten ebenfalls weichen. Ihre Funktion übernimmt jetzt die MirrorCam mit ihren Kameras und den zwei großen Displays an den A-Säulen. Das ist ein riesengroßer Sprung, der viele neue Möglichkeiten und spannende Aufgaben für uns bereithält – ein neues Zeitalter!

Annelie Mohrs: Der Fahrer möchte ein einfaches System, keine komplexe Maschine, in die er sich erst einlesen muss. Das muss ich bei der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine immer berücksichtigen. Wir haben die User-Interface-Elemente daher so gestaltet, dass sie intuitiv bedienbar sind. Die Logik soll aus dem Alltag – von Tablet und Smartphone her – bekannt sein. Hier gibt es jetzt viel mehr Möglichkeiten und Aufgaben: Wir können jetzt zum Beispiel genauer auswählen, welche Informationen der Fahrer in einer bestimmten Situation tatsächlich benötigt – ob optisch, akustisch oder haptisch.


Bitte nennen Sie ein paar Beispiele!

Annelie Mohrs: Ein spannendes Beispiel ist der neue Active Drive Assist, der teilautomatisiertes Fahren in allen Geschwindigkeitsbereichen erlaubt. Hier mussten viele verschiedene Fahrszenarien, die im Zentraldisplay dargestellt werden, völlig neu entwickelt werden. Auch die intelligente Tempomat- und Getriebesteuerung Predictive Powertrain Control kann jetzt viel mehr, und das machen wir sichtbar.

Oliver Stick: Ein weiteres Thema lautet Personalisierung. Fahrer des neuen Actros haben nicht nur die Möglichkeit, ihre Lieblingssongs über das Entertainment-System abzuspielen. Vielmehr können sie, wie auf ihrem privaten Smartphone, die Lieblings-App installieren und auch die Anzeigen und Bedienelemente selbst konfigurieren.



Welche Schritte durchläuft man als Designer, wenn man solche Bedienelemente entwickelt?

Annelie Mohrs: Zuerst haben wir das Konzept des Innenraums analysiert. Wir haben uns zum Beispiel die Farbwelten, die Materialien, aber auch das Exterieur genau angeschaut. So bekommt man langsam ein Gefühl für das Fahrzeug. Darüber hinaus gehörte die Auswertung von neuen Studien aus der Wahrnehmungspsychologie zu unseren Hausaufgaben.

Alles sehr theoretisch …

Annelie Mohrs: Und notwendig. (lacht)


Bis zum finalen Actros ist es also noch ein weiter Weg. Welche Schritte folgen im Interieur- und Exterieur-Design?

Oliver Stick: Die Ideenfindung passiert heute wie gestern ganz klassisch: mit Stift und Papier. Diese beiden Sachen kann ich überall aus der Tasche kramen – die besten Einfälle kommen einem ja meist spontan und an den ungewöhnlichsten Orten. Danach geht es an den Zeichentisch, detaillierte Skizzen ausarbeiten. Im Anschluss werden die Entwürfe digitalisiert, und es entsteht ein kleines Tonmodell. Abgeleitet davon bauen wir dann ein Modell im Maßstab 1:1, denn nur in Originalgröße können viele Wirkungen des Designs auch richtig analysiert werden! Am Ende steht dann das komplexe Digitalmodell. Auf dessen Basis laufen die weiteren Produktionsschritte.

Der neue Actros mit Multimedia Cockpit, Active Drive Assist und vielen weiteren Innovationen – ist das erst der Anfang?

Annelie Mohrs: Definitiv! Die Themen Connectivity, autonomes Fahren und Elektromobilität werden uns weiter begleiten. Der neue Actros verfügt schon über eine Vielzahl innovativer Fahrer-Assistenz- und Sicherheitssysteme. Die nächste Generation wird sicher einen noch größeren Funktionsumfang und auch völlig neue Systeme bieten.


Herausforderung. Zwischenentwürfe helfen Annelie Mohrs, den Wechsel von der analogen in die digitale Welt perfekt umzusetzen.
Herausforderung. Zwischenentwürfe helfen Annelie Mohrs, den Wechsel von der analogen in die digitale Welt perfekt umzusetzen.
Herausforderung. Zwischenentwürfe helfen Annelie Mohrs, den Wechsel von der analogen in die digitale Welt perfekt umzusetzen.
Herausforderung. Zwischenentwürfe helfen Annelie Mohrs, den Wechsel von der analogen in die digitale Welt perfekt umzusetzen.

Was kommt da konkret auf Sie zu?

Oliver Stick: Bei den Entwürfen für neue Lkw werden uns drei Trends beeinflussen: Erstens wollen wir durch aerodynamisch optimierte Karosserien und Anbauten zur Reduzierung von CO2-Emissionen beitragen. Zweitens haben wir die Aufgabe, unsere Markenidentität zu stärken. Ein noch so windschnittiger Truck muss eben trotzdem aussehen wie ein Mercedes-Benz. Drittens befinden wir uns durch Innovationen auf dem Gebiet des autonomen Fahrens in einem Übergang vom klassischen Cockpit zu einer Art Mischung aus Büro und Lounge mit Wohnzimmer-Atmosphäre.

Wie stellen Sie sich den Truck der Zukunft vor?

Annelie Mohrs: Künftig werden intelligente Systeme im Lkw vieles erleichtern. Der Truck der Zukunft unterstützt nicht nur in stressigen Situationen – er nimmt dem Fahrer auch zunehmend monotone Aufgaben hinter dem Lenkrad ab. Die Fahrzeuge werden immer vernetzter und tauschen noch mehr Informationen aus. Deren Präsentationsform müssen wir Designer erst noch erfinden.

Oliver Stick: Die größte Veränderung des Äußeren wird mittelfristig der Wegfall des klassischen Lkw-Gesichts sein. Der Kühlergrill hat ausgedient, wenn irgendwann der Verbrennungsmotor ausgedient hat. Vermutlich noch früher werden neue gesetzliche Regelungen die Dimensionen der Lkw verändern – Stichwort Länge. Das wird massive Auswirkungen auf das Design der Fahrzeuge haben. Dürfen beispielsweise Sattelzüge länger werden als bisher, verschafft uns Designern das zusätzliche Spielräume zur Optimierung der Aerodynamik, etwa durch ein Ankippen der Windschutzscheibe. Und das hat wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung des Innenraums.

Frau Mohrs, Herr Stick, vielen Dank für das Gespräch!


Fragen: Lars Kruse
Fotos: Matthias Aletsee
Video: Martin Schneider-Lau

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