Der neue Actros: RoadStars hat die Entwickler besucht

Fahrzeug & Technik

Eine neue Ära.

Auf der diesjährigen IAA Nutzfahrzeuge hat er für Furore gesorgt, im kommenden Frühjahr werden die ersten Fahrzeuge an die Kunden geliefert: Mit dem neuen Actros hat sich Mercedes-Benz Trucks in das digitale Hightech-Zeitalter katapultiert. RoadStars gibt Einblicke in die Entwicklung und zeigt, was das neue Flaggschiff kann.

Trucks you can trust. Damit alle neuen Systeme höchsten Zuverlässigkeitsstandards genügen, musste der neue Actros mehrere Millionen Kilometer auf Teststrecken absolvieren – hier Kopfsteinpflaster mit Regenberieselung im Entwicklungs- und Versuchszentrum Wörth (EVZ).


So viele Kilometer wie in diesem Jahr hat Markus Wolf noch nie auf kleineren europäischen Landstraßen zugebracht. Seine Basis ist eigentlich das Entwicklungs- und Versuchszentrum (EVZ) des Mercedes-Benz Werks Wörth. In diesem Frühjahr jedoch hat der Versuchsfahrer seltener als sonst auf der imposanten Kreisbahn seine Runden gedreht. Stattdessen war er mit seinem mit Messtechnik ausgerüsteten Testfahrzeug sehr viel zwischen Portugal und Skandinavien unterwegs. Seine Aufgabe: den neuen Actros auf Herz und Nieren prüfen.

„Wir sind unglaublich viel abseits der Hauptverkehrsrouten gefahren, um möglichst viele Testkilometer in allen möglichen unterschiedlichen Verkehrs- und Straßensituationen sammeln zu können“, erzählt der 48-jährige Daimler-Mitarbeiter. „Dieses Kleinklein über Land mit den vielen Kreisverkehren und kurvigen Strecken kann auf die Dauer ganz schön anstrengend sein. Aber der neue Actros hat so einiges zu bieten, was die Fahrerfitness hochhält.“ Und den Verbrauch niedrig, ließe sich ergänzen.


Kosten runter dank Predictive Powertrain Control.

Während der Fahrten ging es Markus Wolf und den betreuenden Ingenieuren unter anderem darum, die Tempomat- und Getriebesteuerung Predictive Powertrain Control weiter zu optimieren. Auch dank dieser Arbeit verbraucht der neue Actros auf Überlandfahrten bis zu fünf Prozent weniger Kraftstoff als sein Vorgänger.

Das System nutzt neben einem satellitengestützten Ortungssystem hochpräzise digitale Straßenkarten. Diese enthalten jetzt nicht nur wie bisher Daten über die Topografie. Auch der genaue Kurvenverlauf, die geometrische Beschaffenheit von Kreuzungen und Kreisverkehren abseits der Autobahnen sowie die Verkehrszeichen und Tempolimits auf der Strecke sind hinterlegt. So optimiert Predictive Powertrain Control die Fahrweise nicht nur bei Gefällen oder Steigungen, sondern auch auf kurvigen Überlandstrecken, auf denen der Einsatz eines Tempomaten bisher nicht optimal war. „Unnötiges Bremsen, Beschleunigen oder Schalten kann so vermieden werden. Das spart Kraftstoff und macht meinen Job als Fahrer leichter“, erläutert Markus Wolf.



Bis es so weit war, mussten die ersten neuen Test­-Actros etliche Kilometer absolvieren. Dabei waren neben Markus Wolf viele weitere Testfahrer involviert. Ihr Ziel war, neben Predictive Powertrain Control ebenso die anderen wichtigen Innovationen des neuen Actros, wie den Active Drive Assist, die MirrorCam, den Active Brake Assist 5 und das neue Multimedia Cockpit auf Serienstand zu bringen.

„Die größten Kritiker eines neuen Fahrzeugs sind immer unsere internen Testfahrer“, sagt Samuel Keller. „Bevor irgendein Lkw in die Serienproduktion geht und danach zum Kunden geliefert wird, liegt es mit in ihrer Hand, Verbesserungspotenziale aufzuzeigen. Dementsprechend pingelig gehen die Kollegen an neue Systeme heran. Das ist quasi Ehrensache.“

Keller ist Entwicklungsingenieur und arbeitet dem Chief Engineer des neuen Actros zu, der alle Entwicklungsaktivitäten im Projekt steuert. Dabei müssen zahlreiche Abteilungen mit vielen Hundert Personen und unzähligen Themen koordiniert werden.


Hardware in the Loop (HIL). In diesem Labor wurden die Systeme des neuen Actros auf Herz und Nieren geprüft, unter anderem von den Ingenieuren Dr. Jan Wirnitzer, Marco Rooney und Hans-Jürgen Gutmayer (v. r. n. l.).
Hardware in the Loop (HIL). In diesem Labor wurden die Systeme des neuen Actros auf Herz und Nieren geprüft, unter anderem von den Ingenieuren Dr. Jan Wirnitzer, Marco Rooney und Hans-Jürgen Gutmayer (v. r. n. l.).
Innovationen serienmäßig. Der Test-Actros im Lichttunnel am Ende der Endmontagehalle im Mercedes-Benz Werk Wörth.
Innovationen serienmäßig. Der Test-Actros im Lichttunnel am Ende der Endmontagehalle im Mercedes-Benz Werk Wörth.
Informatiker Dr. Joachim Weisbrod (l.) und Entwicklungsingenieur Samuel Keller im „Human Machine Interface“-Labor.
Informatiker Dr. Joachim Weisbrod (l.) und Entwicklungsingenieur Samuel Keller im „Human Machine Interface“-Labor.

Weltneuheit – Teilautomatisiertes Fahren im Lkw.

„Der Fokus beim neuen Actros lag weniger auf Stahl und Eisen, sondern vielmehr auf intelligenten mechatronischen Systemen“, erläutert Samuel Keller. „Auf diesem Gebiet hat der Actros einen besonders großen Sprung gemacht!“

Ein Beispiel dafür ist der neue Active Drive Assist, eine Weltneuheit im Serien-Lkw. Das System bietet teilautomatisiertes Fahren in allen Geschwindigkeitsbereichen. Der Active Drive Assist unterstützt den Fahrer und kann selbstständig bremsen, Gas geben und lenken. Das sorgt besonders auf Autobahnen und Schnellstraßen für mehr Sicherheit und weniger Stress.


60 Innovationen und noch ein paar mehr sind im neuen Actros verbaut.


„Beim automatisierten Bremsen und Beschleunigen hatten wir durch den Abstandshalte-Assistent mit Stop-and-go-Funktion schon sehr viel Erfahrung“, erzählt Keller. „Hier konnten wir schnell gute Ergebnisse erzielen.“ Die Hauptaufgabe war deshalb die Feinabstimmung des Lenkverhaltens. „Um das System so hinzukriegen, wie es heute ist, mussten wir fahren, fahren, fahren. Hier haben unsere Versuchsfahrer im EVZ Wörth und auf den öffentlichen Straßen wirklich einen Riesenjob geleistet!“

Ergebnis: Der Active Drive Assist bringt dem Fahrer mehr Komfort und lässt ihn entspannter unterwegs sein. Das System verzögert den neuen Actros nicht nur, wenn er einem vorausfahrenden Fahrzeug zu nahe kommt, und beschleunigt ihn wieder bis zu einer festgesetzten Geschwindigkeit. Er hält den Lkw über den kompletten Geschwindigkeitsbereich auch aktiv in der Spur. Das System orientiert sich dabei mithilfe einer Kamera an den Fahrbahnmarkierungen auf beiden Straßenseiten. Gut für die Sicherheit: Auch wenn der Fahrer den Active Drive Assist ausgeschaltet hat und der Truck die Spur zu verlassen droht, wird der Fahrer optisch sowie akustisch gewarnt und die – ebenfalls neue – Funktion Lane Departure Protection bringt das Fahrzeug über einen aktiven Lenkeingriff zurück in die richtige Spur.


Nur bei Mercedes-Benz Trucks: serienmäßige MirrorCam.

Auch die neue MirrorCam ist – wie der Active Drive Assist – eine Weltpremiere im Lkw-Bau. Für dieses innovative System wurden in den Labors und auf den Teststrecken ebenfalls zahlreiche Versuche durchgeführt. „Da ging es um die Zuverlässigkeit des Systems und um ganz konkrete Dinge wie die optimale Position der Displays, die Größe der Bildschirme und die Erkennbarkeit der Anzeigen bei Dunkelheit“, so Samuel Keller. „Fahrten auf Teststrecken und öffentlichen Straßen waren deshalb unverzichtbar, um sicherzustellen, dass das System wirklich die angestrebten Verbesserungen bietet.“


Statt der herkömmlichen Haupt- und Weitwinkelspiegel arbeitet die MirrorCam komplett mit Digitalkameras und Displays. Die Kameras sind rechts und links am Dachrahmen befestigt. Die erfassten Bilder werden auf zwei großen Displays angezeigt, die an den A-Säulen in der Kabine angebracht sind. Angenehmer Nebeneffekt: Der Fahrer hat schräg nach vorn, an den A-Säulen vorbei, einen freien Blick, sein Sichtfeld vergrößert sich – ein Riesenvorteil in Kreisverkehren und an Kreuzungen.

Mehrere Hilfsfunktionen der MirrorCam unterstützen den Fahrer: In Kurven schwenkt das Bild des inneren Displays mit und liefert so eine optimale Sicht auf den gesamten Trailer – eine erhebliche Verbesserung im Vergleich zu einem herkömmlichen Spiegelsystem. Bei Geradeausfahrt tragen Distanzlinien zu einer besseren Einschätzung des rückwärtigen Verkehrs bei. Eine spezielle Rangiersicht verhilft dem Fahrer zu einem besseren Überblick: Im oberen Teil des Displays wird die nahe, im unteren Teil die weiter entfernte Fahrzeugumgebung dargestellt. Ist der Abbiege-Assistent verbaut, zeigt das Display der MirrorCam in kritischen Fahrsituationen zudem Warnhinweise an.

„Für Sicherheit und Fahrzeughandling ist die MirrorCam eine enorme Verbesserung“, bestätigt Testfahrer Markus Wolf. Aber die kompakten Digitalkameras haben auch aerodynamisch erhebliche Vorteile. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass der neue Actros auf Autobahnen und Schnellstraßen bis zu drei Prozent weniger Kraftstoff verbraucht als sein Vorgänger – erhebliches Einsparpotenzial für viele Transportunternehmer.


Das neue Multimedia Cockpit revolutioniert den Fahrerarbeitsplatz.

Statt des klassischen Kombiinstruments mit Tacho, Drehzahlmesser und Tankanzeige sowie dem herkömmlichen Schalterbedienfeld in der Brüstung sind im neuen Actros zwei große Screens verbaut – sie sind die Herzstücke des neuen Multimedia Cockpits.

Samuel Keller: „Die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine ist im neuen Actros ein interaktiver Computer, der vernetzt arbeitet und den der Fahrer vielseitig einsetzen kann, um sich die Arbeit und das Leben im Truck leichter zu gestalten.“


Bis zu 5 Prozent weniger Diesel verbraucht der neue Actros auf Landstraßen, bis zu 3 Prozent weniger sind es auf Autobahnen und Schnellstraßen – unter anderem dank verbesserter Aerodynamik und optimiertem Predictive Powertrain Control.


Alles, was das Multimedia Cockpit bietet, haben die Entwickler mit zahlreichen Probanden in Untertürkheim in einem speziell ausgerüsteten Fahrsimulator im HMI-Labor – kurz für Human Machine Interface – getestet und Schritt für Schritt optimiert. „Es ging um Bedienkonzepte, Ergonomie und natürlich um Design“, erzählt Keller. „Das neue Multimedia Cockpit zeichnet ein modernes Design aus und sorgt dank seiner zahlreichen neuen Funktionalitäten und der intuitiven Menüführung für einen noch besseren Fahr-, Arbeits- und Bedienkomfort.“

Das hochauflösende primäre Farbdisplay hinter dem Lenkrad stellt alle Fahrzeuginformationen, Fahr- und Betriebszustände klar und übersichtlich dar. Das zweite Display befindet sich in der Brüstung und ist als Touchscreen ausgeführt. Mit ihm lassen sich alle weiteren Funktionen im Lkw bequem und intuitiv steuern, darunter Licht, Infotainment und Telefonie.


Neues „Human Machine Interface“. Aus dem herkömmlichen Cockpit haben die Entwickler und Designer beim neuen Actros eine digitale Kommandozentrale gemacht. Am stärksten manifestiert sich dies im neuen Multimedia Cockpit.
Neues „Human Machine Interface“. Aus dem herkömmlichen Cockpit haben die Entwickler und Designer beim neuen Actros eine digitale Kommandozentrale gemacht. Am stärksten manifestiert sich dies im neuen Multimedia Cockpit.
Intuitive Bedienbarkeit. Testfahrer Markus Wolf und Entwicklungsingenieur Matthias Lang gehen die Menüs des Multimedia Cockpits durch, bevor sie den neuen Actros auf der Straße testen.
Intuitive Bedienbarkeit. Testfahrer Markus Wolf und Entwicklungsingenieur Matthias Lang gehen die Menüs des Multimedia Cockpits durch, bevor sie den neuen Actros auf der Straße testen.

Das primäre Farbdisplay und das sekundäre Touch-Display können ebenfalls über das neue Multifunktionslenkrad mit Touch Control Buttons angesteuert werden. Durch Wischen und Drücken ist der Fahrer in der Lage, auch während des Fahrens die beiden Bildschirme vom Lenkrad aus sicher zu bedienen.

Ein Großteil der bisherigen Hardware-Schalter ist nun über das Touch-Display bedienbar. Dies bietet insbesondere im Zusammenspiel mit unterschiedlichen An- und Aufbauten ein hohes Maß an Flexibilität und erleichtert deren Steuerung. Eine Vielzahl von Verbindungs- und Anschlussmöglichkeiten für mobile Endgeräte erhöht den Arbeits- und Bedienkomfort im Multimedia Cockpit zusätzlich. Neben zwei USB-Anschlüssen gehören dazu die Freisprecheinrichtung über Dual-Bluetooth, die das parallele Anschließen zweier Mobiltelefone ermöglicht, und die Smartphone-Integration via Apple CarPlay oder Android Auto.

Ein weiterer Vorteil: Anhand der klassischen DTCO- oder Fleetboard-Fahrerkarte können im Multimedia Cockpit bis zu sechs Fahrerprofile abgespeichert werden.


Eine Ausbaustufe des Multimedia Cockpits im neuen Actros ist das noch stärker vernetzte und mit noch mehr Funktionalitäten ausgestattete Multimedia Cockpit interactive. Sein Primärdisplay ist deutlich größer als das des serienmäßigen Multimedia Cockpits.

Zum Lieferumfang des Multimedia Cockpit interactive gehört das Navigationssystem mit Verkehrszeichen-Assistent und Remote online zur Steuerung und Überprüfung von Fahrzeugfunktionen per Smartphone. Neben Komforttelefonie bietet das neue Cockpit auch die Möglichkeit, Smartphones kabellos zu laden.

Diese Ausstattung ist auf ein Höchstmaß an Konnektivität ausgerichtet: Fahrzeuge mit Multimedia Cockpit interactive haben die Möglichkeit, mit dem Mercedes-Benz Truck App Portal verbunden zu werden, und können auf diesem Weg mit komfort- und effizienzsteigernden Apps ausgestattet werden.


RoadEfficiency war die Leitlinie bei der Entwicklung des neuen Actros. Die mehr als 60 Innovationen sind darauf ausgerichtet, dass der Kunde mit seinen Lkw so effizient wie möglich unterwegs ist. Das RoadEfficiency-Konzept ruht auf drei Säulen: niedrige Gesamtkosten, hohe Sicherheit und hohe Fahrzeugnutzung.


Neuer Active Brake Assist 5 mit verbesserter Personenerkennung.

Ein weiteres Highlight des neuen Actros ist der neue Active Brake Assist 5. Dieser Notbremsassistent arbeitet jetzt mit einer Kombination aus Radar- und Kamerasystem. So konnte unter anderem die Reaktion auf Personen in einem Geschwindigkeitsbereich bis 50 Kilometer pro Stunde verbessert werden. Der Active Brake Assist 5 kann innerhalb der Systemgrenzen nicht nur auf Fahrzeuge, sondern auch auf querende, entgegenkommende oder in der eigenen Spur laufende Personen mit einer Vollbremsung reagieren.

„Das Zusammenspiel von Software und Hardware muss bei Sicherheits- und Assistenzsystemen natürlich zuverlässig funktionieren“, sagt Samuel Keller. „Deshalb haben wir alle Systeme im Actros immer wieder im Hardware-in-the-Loop-Labor getestet, bevor sie im Fahrzeug verbaut wurden.“ In diesem Labor sind alle Aggregate – außer Motor, Getriebe und Achsen – so miteinander verbunden wie im realen Fahrzeug. Wenn hier eine automatische Vollbremsung simuliert wird, zischen die Bremszylinder und die Warnblinker springen an. „Dann ist hier richtig Action!“, sagt Samuel Keller.


„Für mich als Fahrer bedeutet der neue Actros bei Bedienkomfort und Sicherheit einen Riesenfortschritt im Alltag auf der Straße“, resümiert Markus Wolf.

Samuel Kellers Fazit lautet: „Wir reden nicht nur über Themen wie automatisiertes Fahren und Digitalisierung, sondern bringen diese mit dem neuen Actros in breiter Front auf die Straße. Damit haben wir eine sehr gute Ausgangsbasis, weitere Zukunftstechnologien mit Mehrwert für die Kunden zügig in den Lkw zu integrieren.“


Fotos: Matthias Aletsee
Video: Martin Schneider-Lau

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